Hans Op de Beeck
Sally O'Reilly, translated by Alexander Pühringer and Marlene Proksch | Frame, 6 February 2006
Der Belgier Hans Op de Beeck erzählt in seinen Installationen mysteriose Geschichten, die oft ganz nahe an die uns vertraute Realität angrenzen. Doch in ihnen liegen immer Geheimnisse verborgen, die mit dem Unheimlichen spielen. Sally O’Reilly über sein bemerkenswertes rätselhaftes Werk.
Sinnlose Worte
Es gibt eine grundlegende Erfahrung von Sprache, die alle Grenzen überschreitet. Wenn man ein einzelnes Wort wiederholt, erscheint es möglicherweise sinnlos, ja sogar bizarr.
Rindvieh
Rindvieh
Rindvieh
Rindvieh
Rindvieh
Rindvieh
Dieses Unbehagen entsteht durch die Vermischung von Vertrautem und Unvertrautem. Beraubt man ein gängiges Wort seines Kontextes, so wirkt es disloziert, instabil und grundlegend fremd; die Bedeutung zerbricht angesichts des Klangs, das Rollen des “R” und das abgründige “ieh” dominieren unsere Erfahrung des Wortes. Wir beginnen zu ahnen , wie dieses Wort auf jemanden wirken mag, der diese Sprache nicht spricht. Über Wiederholung als verfremdenden Prozess ist viel diskutiert worden im 20. Jahrhundert, von der Form des Déja-vu über digitale Scheinbilder, von parallelen Welten bis zum genetischen klonen. Wenn man seinen Doppelganger trifft, muss man sterben, aber andererseits kann man niemals seinen Fuß in denselben Fluss tauchen.
Das Schreckliche an der Wiederholung ist, dass sie so unwahrscheinlich ist, wenn auch auf immer unentschieden. Rekonstruktion, als eine spezielle Form von Wiederholung, kann nützlich sein – für Zeugen von Verbrechen z.B. – oder krankhaft wie etwa im Fall von Nachahmungsmorden. Das Werk des Belgiers Hans Op de Beeck ist zwischen diesen Extremen anzusiedeln. Seine Bilder und Objekte, die aus Erinnerungen heraus oder als Archetypen konstruiert warden, schaffen eine Atmosphäre, die mehr wie eine entkörperlichte Sprache erscheint: merkwürdig mit einem uneindeutigen Bedrohung von Verlorenheit oder Körperlosigkeit Location (5) aus dem vergangenen jahr stellt eine Annäherung an eine Autoraststätte im Maßstab 1:1 dar. Der Betrachter betritt den Raum, sitzt an einem Tisch, lauscht den Radioklängen und schaut durchs Fenster auf die Straße – alles innerhalb des Galerieraumes. Op de Beeck lässt uns allerdings wissen, dass es nicht um die überzeugende Wiedergabe eines realen Ortes geht: die künstlichen Burger und undefinierbaren Getränke auf der Speisekarte würden bei keinem Marketingzuständigen durchgehen, genauso wenig wie die mattschwarze lnneneinrichtung. Die Inszenierung der Autostraße, die man durch das Fenster wahrzunehmen meint, wird durch Straßenleuchten erzielt, die eine Verkleinerung erzeugen und eine verkürzte Straße. Aber: dominiert die Heimeligkeit, mit der die Illusion erzeugt wird oder doch die Unheimlichkeit ihres Effektes? Ist es das vertraute, typische Vokabular einer europäischen Autofahrt oder sind es die beunruhigenden Brüche und Kontradiktionen innerhalb dieser spezifischen Begegnung, die unsere Erfahrung dominieren? Quer durch sein gesamtes Schaffen oszilliert Hans Op de Beeck zwischen dem Universellen und dem Einzigartigen. dem Wiedererkennbaren und dem Fremden – kurz: er beschwört das Unheimliche.
Walter Benjamin spricht im Hinblick auf die Aura eines Gegenstandes, die durch die Übertragung einer Mensch-zu-Mensch-Beziehung hin zu einer Mensch-zu-Objekt-Beziehung entsteht: ,,Die Person, die wir anschauen oder die spürt, dass man sie anschaut, schaut auf uns zurück. Um die Aura eines Objekts zu erfahren, das wir anschauen, bedeutet, es mit der Fâhigkeit auszustatten, uns anzuschauen.“ In die Sprache des Films übersetzt, hieße das: ein von Gespenstern oder vom Teufel heimgesuchtes Haus wird oft von außen aufgenommen, die Kamera blickt aufwärts und impliziert dadurch, dass da jemand drinnen sein könnte, der uns von einem günstigen Punkt aus ansieht - vielleicht die bekannte verrückte Frau in der Dachkammer. Op de Beecks verkleinernde Modelle ermöglichen es uns, den Galeriebesuchern, die bevorzugende Position des alles ÜberbIickenden einzunehmen. Die moderne Literatur begann im 19. Jahrhundert ihrerseits mit der Bezugnahme auf diese relativen Positionen zwischen Autor und Leser. Die traditionelle Rolle des Autors war die des allgegenwärtigen Erzählers, durch den die relevanten Begebenheiten und Informationen an den Leser weitergegeben wurden. Im Kontrast dazu erscheinen die Geschichten von Franz Kafka beispielsweise nicht so sehr als totale Beschreibungen einer Situation, sondern vielmehr als Teilinterpretationen. Die Protagonisten, ja sogar der Autor, scheinen nur ein fraktales Verständnis dessen zu besitzen, was passiert, als ob sie ebenfalls im Fluss des Geschehens gefangen wären, die Dinge als die erfahren, wie sie geschehen. jedenfalls nicht wie im Stuhl des Schiedsrichters mit einem klaren Verständnis von Ursache und Wirkung. Um diese Konstruktionen im Verhältnis zur Wirklichkeit geht es Op de Beeck: Ein Park oder ein Innenraum, zusammengeflickt aus der Erinnerung, ist mehr als eine ehrliche Reflexion über das, was ergentlich senn sollte im Gewebe und Gewirr der Welt. Wir haben kaum enn Verständnis für das Ganze oder eine Richtung, bis ein Geschehen tatsächlich vorbei ist und eine andere Art von Unentschiedenheit sich breit macht – die einer unklaren Erinnerung, Übertreibung oder Autosuggestion. Und genau in diesem Zustand der Versunkenheit finden wir uns umgeben von so vielen Stimmungen: Wir halten nicht länger Ausschau nach dem alles sehenden Auge von oben, sind aber dafür umgeben von den reflexiven, systembezogenen Mechanismen der Überwachung.
Jeremy Benthams Panoptikum war eine utopische, aber ultimativ hegemoniale, überwachende Erfindung. Seine kreisförmige Gefängnisarchitektur war von einem zentralen Punkt aus entworfen worden, die Korridore nach außen gerichtet, sodass das Zentrum einen autoritären Standpunkt von uneingeschrankter Macht darstellte. Im Gegensatz zu Kafkas autokratischen Metastrukturen bedeutete das Eintauchen in Benthams Panoptikum Macht, bei der alles in der Horizontalen ausgerichtet war. Man könnte das als eine Metapher für den Künstler nehmen, der sich ins Zentrum eines selbstgetertigten Universums setzt. Op de Beeck aber macht die Dinge verworren, wenn er uns als Betrachter dazu auffordert. ebenfalls Bedeutung in sein Werk zu bringen, indem er uns neben sich im Zentrum positioniert, während unsere Assoziationen in alle Richtungen schwirren. Die Autobahnraststätte zum Beispiel ist etwas, was wir alle erkennen, Es kommen sofort Erinnerungen auf von Antizipation, Frustration, Langeweule und Zufriedenheit. Wir identifizieren und schaffen stillschweigend Bedeutung. Ein triangulares Moment von Spionage zwischen Kunstwerk, Künstler und Betrachter herrscht in Determination (1) (1996). Eines Tages suchte ein Junge auf der Straße im Fond des Autos seiner Eltern durch die Heckscheibe Augenkontakt mit Hans Op de Beeck, der dahinter fuhr. Anstelle des üblichen Winkens oder der gängigen obszönen Gesten hatte dieser Junge einen betörenden Eifer, eine mysteriöse Ernsthaftigkeit. Op de Beeck rekonstruierte die Situation mit einem kindlichen Schauspieler und filmte sie von seinem Blickpunkt wie gehabt aus dem Auto dahinter. Im Moment der Projektion ist da eine Konfusion zwischen Objekt und Subjekt, so, als würde Benjamins Aura greifbar durch den Blick des Jungen zu uns gebracht. Der Künstler arbeitet oft mit diesem Unterminieren der Beziehung zwischen Betrachter und Betrachtetem; wir fühlen uns oft wie ein Eindringling, so, als wäre das Kunstwerk nicht zum Ausstellen gemacht, fühlen uns aber hineingezogen oder so, als würden wir darüber stolpern. In Insert Coin - For Love (1999) spielt ein Straßenautomat nach Geldeinwurf einen Peep-Show-Film mit einer stummen Stripperin. Die Frau rekelt sich verdrießlich, hat offensicht lich keine Lust. für uns. das Publikum zu posieren. Die Norm wird umge stoßen, da das Kunstwerk ,,revoltiert“. In Room with a view (2001) wird Landschaft zur Repräsentation ihrer selbst – durch die Bemuhungen des Betrachters. Eine kleine Hütte oder Zuflucht mit einem großen Fenster zeigt des Künstlers geliebte Aussicht auf ein Feld und entfernte Wälder, so dass der eigentliche Akt des Sehens zum Medium und Genre wird. Ein anderer Eckpunkt, um Unheimliches und Mysterioses zu kreieren ist natürlich die Nacht. Dunkelheit verbirgt, hüllt ein, entleert und verkehrt. wie die Mechanismen der Erinnerung. Op de Beeck ist empfänglich für das evokative Potenzial der Nacht, obwohl er es sparsam einsetzt. Viele seiner Bühnenerinnerungsstücke – table-top Modelle von Semierinnerungsorten – sind deutlich ausgeleuchtet; einige benötigen Dunkelheit, um ihre charakteristische Eigenheit zu erhalten. Location (1) (1998) jedoch benötigt die menschenlose Nacht, um auf den Punkt zu kommen. Das Modell einer Straßenkreuzung ist verwaist, doch die Lichter der Ampeln setzen ihren emsigen Zyklus von Rot, Orange und Grün unermüdlich fort. Die Hegemonie von Stop and Go wird zu etwas Zweifelhaftem, wenn die Gefahr, die sie zu bannen hat, nicht mehr da ist. Wir haben uns wahrscheinlich alle schon mal gefragt. ob es wirklich etwas Strafbares ist, auf einer verlassenen Straße bei Rot durchzufahren, und trotzdem kennen wir dieses eigenartige Gefühl, bei der Gesetzesübertretung beobachtet zu werden. Um diese Angst vor Kontrolle, Technologie und Staat geht es in T-Mart aus dem letzten Jahr. In Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller Joost Zwagerman hat sich Op de Beeck eine neue ,,Marke“ ausgedacht: Ein Hypersupermarkt, der alles verkauft, ein gewöhnlicher Markt des allgemeinsten Art. Op de Beecks Vorlage für dieses Projekt war das Modell eines gängigen belgischen Supermarkts, eine niedrige, weit ausholende, fensterlose rohe Architektur mit der Finesse von etwas einfach irgendwie Hingesetztem. Die Parkflächen sind riesig und leer; ironischerweise sind es die leeren Parkflächen in der Nacht. die uns den potenziellen Exzess mehr bewusst machen, als wenn sie voll wären. Das Dach des Supermarkts ist entfernt worden und enthüllt die leeren Gestelle und verwaisten Gange dazwischen. Der Künstler lässt uns die Kleiderabteilung. den Lebensmittelladen und die Elektrowaren erkennen – also ein Modell, das plausibel funktionieren könnte, aber nochmals: Die Absurdität von nicht hinterfragten Systemen wird sichtbar, wenn das, was systematisiert werden soll, entfernt wird. Eine Animation wird von der Decke auf das Interiormodell projiziert, sodass der Boden eine grafische Ebene für digitale Geschehnisse abgibt: Eine Schiene von Licht scannt das Modell. einzelne pixelartige Punkte folgen dem geradlinigen Gitter des Kaufhausgrundrisses, wie ein Pac Man-Spiel, Röhrenblitze, Dilationen und Lichtblitze tanzen über das Modell wie eine wilde analytische Aktivität. Im Moment, wo es derart aktiviert ist. werden die Proportionen mehrdeutig. Sehen wir einen Supermarkt oder ein Wohnviertel oder einen elektronischen Schaltkreis? Der Geist in der Maschine ist heute nicht mehr als ein Klischee, aber hier scheinen wir mit der Maschine als Geist konfrontiert zu sein, welche die konzentrischen Kreise der digitalen. menschlichen und architektonischen Einheit überblickt und kontrolliert. In seinem Post-Freud-Update, ,,The Uncanny“, spricht Nicholas Royle vom Unheimlichen als einer ,,Krise des Korrekten und Natürlichen, es zerstört jegliche Klarheit davon, was drinnen und was draußen ist. Das Unheimliche hat zu tun mit der Fremdheit von Rahmen und Grenzen...“.
Dies scheint auch die Krux zu sein, wenn man an das Mysteriöse in Hans Op de Beecks Werk denkt. Er zieht Grenzen um die Arbeiten, die uns in Bezug auf ihre Funktion und Struktur miteinbeziehen. Die Welt erhält neue Bezugssysteme, so dass vertraute Beziehungen ihre Vertrautheit einbüßen, verdorben durch das, von dem wir vermuten. dass es darin verborgen war seit geraumer Zeit.
Aus dem Englischen von Alexander Pühringer und Marlene Proksch.