Tischordnungen
Markus Mittringer | Der Standard, 30 March 2006
Hans Op de Beek inszeniert in der Galerie Krinzinger beispielhaft Szenen, wie sie
täglich an unzähligen Tischen ablaufen, und zeigt die Distanz aller Beteiligten.
Wien – Höchst selten nur finden sich Tischgesellschaften aus purer Zuneigung der Gesellschafter untereinander ein, meist steht dem Beisammensitzen ein Ereignis vor. Und so bestimmt der Anlassfall die Mischung. Die Familie trifft einander geschlossen meist nur zu Todes- oder Hochzeitsfällen, Eröffnungsdiners wollen bedacht zwischen Freundschafts- und Geschäftssinn ausgependelt werden, und noch Offizielleres produziert noch prekärere Nebeneinander.
Das alles in den Griff zu bekommen, wurden Sitten eingeführt, Regeln, den jeder Einladung drohenden Eklat im Stadium der Latenz zu halten. Zu den Tischsitten gehört, dass sich ein jeder Gesetzte auch bemüht mitzutun, neben dem dargebrachten Essen auch das Gespräch teilt, beginnend mit den oft nachgerade frech beigesetzten Tischdamen und -herren, keinen Mitesser außer Acht lässt. Tischgesellschaften befinden sich bestenfalls in einem labilen Gleichgewicht.
Hans Op de Beek nennt seine Ausstellung in der Galerie Krinzinger "tables ...", und stellt nach, was an den diversen Tafeln so passiert, während alle Beteiligten bemüht sind, das spezielle Ereignis zu bestehen, die guten Sitten zu berücksichtigen. Aus der Distanz betrachtet, wird deutlich, wem jetzt ordentlich fad ist und wen es wo ganz furchtbar juckt, wer seiner Nächsten ins Dekolletée stiert, wer verspannt ist und wer betrunken, wo Unstimmigkeiten liegen und wo Begehrlichkeiten unterdrückt werden. Op de Beek inszeniert den alltäglichen Krampf hinter der gewahrten Form als geloopte Kammerspiele auf Video oder sechsgangmenülange Panoramafotos.
Op de Beek installiert einen möglichen Blick aus der Distanz: In gleißendes Weiß getaucht, dominiert eine auf 150 Prozent des Originals vergrößerte Tafel den Hauptraum der Galerie. Der Tisch ist verlassen, aber noch nicht abgedeckt, die angeschnittenen Kuchen und die überquellenden Aschenbecher zeugen vom vergangenen Geschehen: Ein Totenschmaus hat stattgefunden – in Belgien, der Heimat des Künstlers, wird nach der Grablegung Kaffee, Tee und Kuchen gereicht, nicht Rind und Semmelkren und Alkohol wie hier zu Lande.
Alle waren zusammen, alle für wenige Augenblicke auf derselben Höhe, alle habe eben ein Ritual vollzogen. Den anwesenden Kindern war seine Bedeutung noch nicht bewusst, sie waren dabei, ohne beteiligt gewesen zu sein, verfolgten Handlung und Handelnde aus der Distanz. Was ihnen von der Zehrung blieb, ist die Erinnerung an ferne, viel zu hohe Sessel, an Tischplatten in Kopfhöhe, an zur Geräuschkulisse verschwimmende Gespräche, an Feuer und Rauch der Zigaretten und an die unerreichbaren, so verlockend roten Kuchen am Gipfel der Szene. Dem Geschehen entzogen, haben sie die Handelnden vergessen, erinnern bloß an das Unangemessene der Verhältnisse.