Vorsicht: Parallele Welten!
Rüdiger Von Naso | MADAME, 1 June 2008
Comics, Comics, Comics. Nichts anderes hatte Hans Op de Beeck damals im Kopf. Wie im Rausch entwarf er Comicbücher, zeichnete wie ein Verrückter, als folge er einem inneren Diktat. Er war nicht allein, sein ihm zum Verwechseln ähnlicher Zwillingsbruder, der spatter Grafik-Design studierte, teilte seine Leidenschaft. „All die anderen Teenager machten Sport und solche Sachen“, erinnert sich Hans op de Beeck in der Bar des Münchner Hotels „Vier Jahreszeiten „mein Bruder und ich, wir waren dagegen eher stille Typen.“
Eine gewisse Stille charakterisiert den 39-jährigen belgischen Künstler auch heute noch, obwohl er alles andere als schweigsam ist. Schon früh hatte er ein gewisses Vertrauen in die eigene Kreativität und war sich sicher, damit „etwas anfangen“ zu können. Wahrscheinlich besaß er schon damals diese Lässigkeit und Gelöstheit, die ihn heute unbefangen lachen lässt, wenn er sich selbstkritisch ins Visier nimmt: „Natürlich bin ich der Erste, der sofort zugibt, dass ich eine Menge schlechte Arbeiten gemacht habe. Wenn du jedes deiner Werke als ein Meisterwerk ansiehst, hast du ein echtes Problem als
Künstler.“ Damals jedenfalls studierte er in Brüssel an der Sint-Lukas-Akademie Malerei. Aber bald spürte er, dass sich seine Bilder immer ähnlicher wurden, es keine wirkliche Entwicklung gab. „Ab einem gewissen Punkt ging es nur noch um die malerische Technik und nicht mehr darum, was ich eigentlich erzählen wollte.“ Also suchte er nach einem Ausweg aus der künstlerischen Sackgasse, wandte sich anderen Medien zu. Gegenwärtig zeichnet er, fotografiert, dreht Videofilme, produziert Skulpturen und – manchmal von einer Tonspur untermalte – „skulpturale Installationen“. Als wäre das nicht genug, schreibt er Novellen, die er in Literaturzeitschriften veröffentlicht. Ach ja, und für ein paar Opernaufführungen
hat er auch das Bühnenbild entworfen. „Es geht mir nicht um ein homogenes OEuvre. Wichtig ist für mich dieses Gefühl von Freiheit, das sich daraus ergibt, dass ich in alle Richtungen gehen kann.“
Egal, welches Medium er gerade nutzt, der Betrachter ist für ihn von entscheidender Bedeutung. Das lehrt er auch die Studenten, die er in Gent in „Art Practice“ unterrichtet. „Kunst ist ja schon irgendwie etwas Elitäres und Kunst zu produzieren ist ein wirkliches Privileg, da besitzt man als Künstler schon auch eine Verantwortung.“ Die sieht Op de Beeck etwa darin, Kunst nicht zu hermetisch zu gestalten und auch für jene zugänglich zu machen, die nicht „mit einem Katalog zeitgenössischer Kunst in ihren Köpfen“ herumlaufen. Manchmal hat die freundliche, an den Betrachter adressierte Einladung zur Kommunikation freilich auch einen paradoxen ironischen Touch. So war das beipielsweise bei der Installation
Insert Coin – For Love (1999), einem vom Künstler entworfenen Spielautomaten, bei dem der Betrachter nach Einwerfen einer Münze einen Film von einer Peepshow sah. Nur, dass die Akteurin sich dem Akt verweigerte und sich über den erwartungsfrohen Zuschauer lustig machte: „Hey, ich strippe nicht für dich!“ Berühmt machte Hans Op de Beeck die Installation „Location (1)“. Die erste einer Reihe von Installationen, die nicht selten im Maßstab 1:1 eine nahe und doch fremde Welt in den Blick rücken. „Location (1)“ zeigte eine nächtliche Szenerie mit einer menschenleeren Straßenkreuzung, wo das einzige „Lebenszeichen“ das rhythmische Aufflackern der die Farbe wechselnden Ampeln ist. Die Erinnerung an eigene, Hunderte von Kilometern lange nächtliche Autofahrten stand Pate, wie er überhaupt gerne eigene Erfahrungen
– so alltäglich wie möglich – als Ausgangspunkt für seine Arbeiten nutzt. Er spielt den Stellvertreter für den Betrachter, sucht Situationen, die diesen zur Identifikation auffordern. Seine Parallelwelten, von denen er hofft, dass sie der Zuschauer für einen Moment als etwas Reales akzeptiert, konstruiert er – mit dem Ehrgeiz eines Handwerkers – bis ins Detail selbst,
mehrere Assistenten helfen ihm dabei. Je unmöglicher, je unvorhersehbarer ein Projekt ihm erscheint, desto packender
findet er es. Die Szenarien, die er schafft, entnimmt er nicht Fotos, sie sind in seinem Kopf gespeichert. „Wenn ich ein Schwimmbad zeichne, ist das ein Archetyp aller Schwimmbäder, die ich jemals gesehen habe.“
Regelmäßig spielt der Künstler auf der Tastatur von wahr und falsch, kreiert eine Illusion, der man lustvoll verfallen kann – selbst wenn man sie im gleichen Moment durchschaut. „Ich glaube zutiefst“, sagt Op de Beeck, „dass eine Fälschung authentisch sein kann, auch wenn das wie ein Widerspruch klingt.“ Und beschreibt, wie er plötzlich vor einem Gemälde von Vermeer das Gefühl hatte, mit der Frau auf dem Bild ganz allein auf der Welt zu sein, obwohl er natürlich wusste, dass
es sich nur um ein Bild handelte, das vor 400 Jahren gemalt worden sei. „Location (5)“, seine bisher gewaltigste, 300 Quadratmeter große Installation, formt ein Autobahnrestaurant nach. Der Betrachter kann das Lokal selbst betreten, sein – durch Trompe-l’OEil- Effekte getäuschter – Blick fällt auf einen verlorenen Highway. Unmöglich für ihn zu erkennen, dass die Straßenlampen im Vordergrund tatsächlich. vier Meter hoch sind, weiter hinten dagegen gerade einmal 20 Zentimeter. Die Stimmung des Ortes hat etwas von Hitchcock und Hopper: Nichts passiert, aber alles könnte passieren. Hans Op de Beeck versteht sein Werk auch als eine „Einladung, das Nichts zu akzeptieren“. Der Betrachter kann sich in dieser Installation auf eine Bank setzen und auf das Nichts starren und es vielleicht sogar genießen, dass der Alltag allmählich in weite Ferne rückt. „Ich glaube, eine der wichtigen Qualitäten eines Kunstwerks ist, dass es eine zeitlose Zone schafft, in der du deine eigene Identität vergisst und mit irgendetwas in Berührung kommst, wofür du keine Bezeichnung hast.“ Aus
einem Non-Event ein Event zu machen, auch darin liegt der geheime Reiz solcher Kunstspielereien für den Künstler. Seine neueste Arbeit „Location (6)“, die auf dem Holland Festival in Amsterdam ihre Weltpremiere haben wird, ist eine Sinfonie in Weiß, ein wahres Gegenstück zur düsteren schwarzen „Location (5)“. Man findet sich, nachdem man einen 20 Meter langen Korridor durchschritten hat, in einer Art Observatorium wieder, das einen Panoramablick auf eine schneebedeckte,
verwaiste, weiße Landschaft darbietet, in der man nichts als eine unendliche Reihe von Bäumen sieht. „Ich wollte das Spiel mit der Monochromie bis zum Äußersten auskosten. In der früheren Arbeit ging es um die Abwesenheit von Licht und hier gibt es einfach nichts als Licht. Fast wie ein weißer Malewitsch. Ein Delirium in Weiß.“ Vielleicht sei diese „Location“ ja die letzte, meint er, so flüchtig, immateriell und spirituell, wie sie sei. Eigentlich ja fast schon eine Art Kapelle. „Aber ich entscheide nie, wie es weitergeht – es geht einfach irgendwie weiter.“