Gezaptft wird, was im kopf ist
Magdalena Kroner | Frieze D/E, 6 December 2013
Bester Kulissenschieber der Welt: Hans Op de Beeck im Kunstverein Hannover
Schon von weitem hört man sentimentale Klaviermusik. Man folgt ihr unweigerlich, steigt ein paar Stufen in einem engen Treppenhaus hoch, kommt in einen kleinen flur, sieht eine geöffnete Tür, tritt ein und steht in einem niedrigen Zimmer, dessen Bewohner gerade eben noch da gewesen sein muss. Es ist warm, ein Ventilator dreht sich an der Decke. Ein paar Lampen werfen fahles Licht, der Kühlschrank steht offen, Obst liegt herum, das Bett ist zerwühlt. An einem niedrigen Fenster lädt ein wuchtiges polstersofa zum Sitzen ein. Durch das fenster blickt man auf einen von Betonwänden eingefassten Hinterhof mit Campingtischen, Lichterketten und einem beleuchteten Springbrunnen, der verlassen, aber energisch vor sich hinpläschert. Erst allmahlich wird deutlich: alles hier scheint wie festgefroren; erstarrt in einem schmutzigen Grau. Es ist, als sei man hineingefallen in einen tonlosen Traum, in dem die Leute verschwunden und die Farben erloschen sind.
Location (7) “heisst die monumentale Installation, die manchem seit der letzten Venedig – Biennale bekannt sein dürfte. Nun ist sie erstmals in Deutschland zu sehen: Der Kunstverein Hannover stellt das Werk des 1969 geborenen belgischen Künstlers Hans Op de Beeck vor. Herausgekommen ist eine Ausstellung, die sich derart gekonnt allen Kategorien entzieht, dass man sie ansehen muss.
Für die Arbeit , Table (1) inszeniert Op de Beeck ein blendend weisses Zimmer mit einer viel zu grossen kaffeetafel, die von Gästen hinterlassen wurde, deren Proportionen Menschenmass deutlich übersteigen. Alles ist zu grob, die weissen Stuhle, die weuben Tassen, Teller und Gabeln. Der übriggebliebene Obstkuchen erscheint zu prall und zu bunt, als dass er essbar ware. Man denkt an Claes Oldenburg und, angesichts des hellen Raums, an das Nirwana am Ende von Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum.
Doch je mehr Zusammenhänge, filmische Bezüge und kunsthistorische verweise sich aufdrangen, desto stärker verunklaren diese Arbeiten, was sie eigentlich sind: Skulpturen? Tableaus? Begehbare Bilder? Filmsets? Hans Op de Beeck verschiebt banale Settings ins Irreale. Proportionen und Texturen stimmen nicht, alles ist ein wenig zu klein oder zu grob, scheint von klebrigem Staub umhullt oder mit glänzendem Erdol überzogen.
So unterschiedlich die in Hannover inszenierten Räume sind, sie lösen stets ahnliche Fragen beim Betrachter aus: Träume ich? In wessen kopf bin ich hier gerade? Dieser Künstler ist ein Verfuhrer, der genau weib, wie er sein Publikum rumkriegt. Dabei kann man dem Mann nichts vorwerfen, weder einen Hang zum Theaterdonner noch wohlfeiles Kalkül, denn eigentlich zapft er blob das an, was jeder im Kopf hat. Dieser weltbeste Kulissenschieber ist ein moderner Freud, der das Bild statt des Wortes wählt. Und wirliegen nicht mehr auf der Couch, sondern sitzen auf ihr und starren in Räume, die absolut plausibel scheinen und zugleich völlig unmöglich sind.
Alles hier wirkt unmittelbar, und doch ist es eben so weit vom Realen entfernt, dass es irritiert. Op de Beeck spielt mit Klischee, Kitsch und Sentiment, doch meidet jede ironische Uberhöhung. Seine Arbeiten sind vor allem das Werk eines besessenen, aber ehrlichen Bricoleurs.
Op de Beeck hat keine Geheimnisse, verschleiert nichts, legt keine Geheimnisse verschleiert nichts, legt keine falschen Fährten. So wie in dem kleinen film “Staging Silence” , in dem vier Hände eine endlose Folge modellhafter Kulissen auf – und abbauen und immer neu zusammengeschieben. Die Mittel der Wahl sind ebenso simpel wie offenbar: Pappe, Papier, Watte, mal eine Gluhbirne oder ein paar Aschenbecher aus Glas. Erst im Kopf setzen sich die fragmentarischen Bilder zu schlüssigen Modellen der Welt zusammen.
Dagegen bleiben jene Filme des in Brüssel lebenden Künstlers erstaunlich blass, die grobe Welt spielen wollen. Vor allem der 2010 entstandene, halbstündige Film Sea of Tranquillity, der von den Ereignissen auf einem digital animierten, dusteren Luxusdampfer erzahlt. Viel Aufwand, wenig Effekt – zwar stellt Op de Beeck markige Darsteller in wattierten Science- Fiction- Uniformen auf eine Kommandobrücke und bemuht alle moglichen Insignien des Luxus. Dennoch sieht es hier aus wie in einer billigen Fernsehserie. Auf dem Schiff geriert man sich in trister Noblesse: Eine Schönheitsoperation wird vollzogen, eine JazzSängerin tritt im zu engen Kleid und mit falschen Wimpern auf, blaue Desserts werden gereicht, sogar eine Urnenbestattung findet statt. Aber wirklich berührt scheint hier niemand zu sein – auch der Betrachter nicht.
Dagegen besticht die bereits vor vierzehn Jahren entstandene Arbeit Location (1), ein auf Brusthöhe auf einem Tisch Plaziertes Modell, das so einfach ist, als stamme es aus der Werkstatt eines Laienbastlers. Aus erhohter Perspektive schaut man auf eine leere Strabenkreuzung. Es ist nacht. Es ist nicht viel zu erkennen auber einer zugefrorenen Strabe und den wechselnden Lichtern einer Ampel. Hier geschieht nichts, und doch lesen wir die situation, wie wir es aus dem Kino gelernt haben, als Ruhe vor dem Sturm. Oder als Stille nach dem Schuss. In ihrer Abkehr von der Welt ist diese Kunst ganz bei sich.