Begehbare Stilleben von Hans op de Beeck
Thomas Kliemann | General-Anzeiger-bonn, 15 February 2017
Das Museum Morsbroich in Leverkusen zeigt die entrückte Welt des Belgiers Hans Op de Beeck, der unter dem Titel Silent Castlebegehbare Stillleben inszeniert hat.
Es dauert nur ein paar Augenblicke, da ist man angekommen in Hans Op de Beecks Welt, in einem Kosmos, der mit einem Überschwang an Details und Anspielungen angefüllt ist und doch den Betrachter regelrecht entwurzelt. Der 1969 geborene Belgier geht den Besucher und dessen Lebenserfahrungen frontal an, entzieht der Wirklichkeit die Farbe, lässt sie zum grauen Stillleben gefrieren, verändert die Maßstäbe. Alles ist künstlich und doch handgemacht. Und wer sich wohl oder übel an diese graue Welt gewöhnt hat, wird in einem kleinen Zimmer von einer riesigen, kunterbunten, halb aufgegessenen Geburtstagstorte überwältigt – nicht der einzige optische Überfall in dieser bühnenhaften Inszenierung.
Am Wochenende wurde Op de Beecks Ausstellung im Leverkusener Museum Schloss Morsbroich eröffnet. Selten hat sich ein Künstler so intensiv und konsequent auf dieses wunderbare Haus eingelassen. The Silent Castle, das stille Schloss, hat er seine Inszenierung genannt, die mit der Vergangenheit dieses Barockschlosses spielt, mit Klischees und Erwartungen, schließlich auch mit der Anmutung dieses Ortes. Der Besucher wird zum Beispiel im Inneren von einem spiegelnden barocken Teich empfangen, den man eigentlich im Park verorten würde. Schwarz glänzt das „Wasser“, Grau in Grau treiben Blätter und Seerosen auf der Oberfläche. In einem anderen Raum steht ein graues, gediegenes Sofa in einem ebenso grauen gemütlichen, aber reich vermüllten Interieur. Wieder woanders erblickt man einen wie verstaubt wirkenden Flügel, auf dem leere, graue Bilderrahmen und Flaschen stehen, Notenhefte und Zigaretten liegen. Ein Hauch von Pompeji umweht diese begehbaren Stillleben, es sieht aus, als habe ein Aschenregen das Leben und dessen Spuren unter sich begraben und konserviert.
Verstörendes Weihnachtszimmer
Op de Beecks Interieurs wirken aber bei aller archäologischen Anmutung sehr diesseitig und aktuell. „Christmas“ etwa ist die verkleinerte und mit schwarzem Hochglanzlack überzogene Darstellung eines postmodernen Wohnzimmers, offenbar unmittelbar vor der Weihnachtsbescherung. Begeisterung, Vorfreude, familiäre Spannungen sind nur erahnbar. Unheimlich geht es allemal zu: Das Interieur wirkt wie ein menschenleerer Tatort, der den Betrachter zur Spekulation reizt.
Der Künstler hat viele Lebensbereiche recherchiert und analysiert und zeigt sie im Stil eines niederländischen Stilllebenmalers: Wie sieht das Frühstückstischchen eines Junggesellen aus? Wie die Körperhaltung einer jungen, IPod hörenden Frau? Wie der triste Eingang zu einem Supermarkt mit den trostlosen Spielgeräten für ungeduldige Kinder? Mit größter Akkuratesse setzt Op de Beeck diese Beobachtungen um. Entweder in Gestalt von Skulpturen, in großformatigen Aquarellen oder Animationsfilmen wie „Staging Silence“, ein Video, das die Arbeitsweise des Belgiers anschaulich vorführt. Vor dem Auge einer statischen Kamera verändern zwei Händepaare mit einfachsten Mitteln und Requisiten einen kleinen Bühnenraum: Unglaublich, was an diesem Filmset passiert.
Eine leichte, morbide Poesie umweht Op de Beecks Stillleben. Sie steigert sich im Film „The Thread“ zu einer zarten Liebesromanze zwischen zwei Puppen, einem asiatischen Jungen und einem Punkmädchen. Ein ganzes Leben rauscht hier vorbei. Grau in Grau und doch sehr farbig.