Meister der Perspektivwechsel Kunstmuseum Wolfsburg: Op de Beeck entführt in andere Welten
Nicole Büsing & Heiko Klaas | Neue Oznabrücker Zeitung, 24 April 2017
Wolfsburg. Mittels Maßstabsverschiebungen und monochromer Oberflächen lässt der belgische Multimedia-Künstler Hans Op de Beeck Vertrautes unvertraut und geheimnisvoll erscheinen. Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt jetzt die erste umfassende Retrospektive seines Werkes.
Wir befinden uns im Haus eines exaltierten Kunstsammlers: Skulpturen von barbusigen Frauen und knabenhaften Jünglingen, ein Konzertflügel, ein Chippendale-Sofa mit Beistelltisch, leere Weinflaschen und andere narrativ aufgeladene Details lassen die Szenerie eher eklektisch als geschmackssicher wirken. Zudem ist alles in ein einheitliches Grau getaucht. Für Farbtupfer sorgen lediglich die Besucher. „The Collector’s House“ lautet der Titel dieser begehbaren Installation.
Tritt man hinaus auf die Terrasse, bietet sich ein extremes Kontrastprogramm. Der Betrachter blickt auf die Dächer einer nächtlichen Industriestadt. Es stehen Müllcontainer herum, hier und da glüht ein kleines Feuer. Im Zentrum des Gassengewirrs plätschert ein Springbrunnen. Eine Treppe führt hinab in diese dystopisch aufgeladene Unterwelt.
Willkommen in der Welt von Hans Op de Beeck. Der 1969 geborene belgische Multimediakünstler, Dramatiker, Komponist, Theater- und Opernregisseur hat das Kunstmuseum Wolfsburg in eine furiose Gesamtinstallation verwandelt. Modellhafte Settings finden sich in den modulartigen Häusern, die der Besucher auf insgesamt 2200 Quadratmetern durchschreitet. Die Wolfsburger in situ-Installation „Out of the Ordinary“ bildet den Rahmen für Op de Beecks erste museale Retrospektive, die frühe Arbeiten von 1998 bis hin zu eigens für die Ausstellung entstandene Werke umfasst.
Ob eine miniaturisierte Straßenkreuzung, ein zugeschneiter nächtlicher Vergnügungspark, eine mondlichtdurchflutete Dachkammer oder eine um das eineinhalbfache vergrößerte Kaffeetafel mit halb aufgegessenen Torten und überquellenden Aschenbechern: Die illusionistischen Rauminstallationen von Hans Op de Beeck sind fiktiv, narrativ und zugleich immer etwas unheimlich. Sie entstehen alle in handwerklicher Kleinarbeit in seinem Studio.
Was alle Werke Op De Beecks trotz ihrer mitunter akribischen Detailtreue gemeinsam haben, ist ihr hoher Abstraktionsgrad. Schwarz, Weiß und vor allem Grau sind, abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen, die einzigen Farben, mit denen der Künstler arbeitet. Der Betrachter taucht ein in eine immersive, ihn total umfangende Welt jenseits der alltäglichen Erfahrungswelt.
Einen der Höhepunkte des Parcours bildet der knapp 30-minütige Film „Sea of Tranquillity“ von 2010, in dessen Mittelpunkt ein 3D-animiertes Luxuskreuzfahrtschiff voller Anleihen an dekonstruktivistische Protzarchitektur, russische Oligarchenyachten und hypermoderne Tarnkappenbomber steht. Hans Op de Beeck führt dem Betrachter eine realitätsferne Parallelwelt voller falscher Versprechungen vor: Billige Bordunterhaltung, überbordende Shopping Malls und grellbunte Fantasiespeisen bedienen ein postmodernes Bedürfnis nach Überfluss und Zerstreuung fernab des realen Lebens.
Erst im vergangenen Jahr entstanden ist die Pfahlbausiedlung „The Settlement“. Der Betrachter blickt über eine echte Wasserfläche hinweg auf eine exotisch anmutende Ansammlung kleiner Holzhäuser und Boote. Ein gigantischer Wachturm jedoch verleiht dem Ensemble etwas Unheimliches. Denkt man zudem an den Anstieg des Meeresspiegels, so verwandelt sich das scheinbare Idyll in eine eher prekäre, früher oder später wohl dem Untergang geweihte Wohnsiedlung.
Hans Op de Beeck gelingt es, in immer wieder neuen Bildern visuelle Konstrukte von nichtexistenten Orten herzustellen, die zwischen bösem Traum, Unbehagen, Ausgesetztheit, Glamour-versprechen und oberflächlicher Schönheit oszillieren. Subversive Gesellschaftskritik mischt sich bei ihm mit bildhauerischer Präzision, Filmzitate treffen auf kunsthistorische Verweise.