Modellierung der Stille
Alexander Kohlmann | Deutschlandfunk, 11 April 2017
Einsame Landstraßen, menschenleere Räume. Der belgische Multimedia- Künstler Hans Op de Beeck liebt es, die Stille in unserer von Menschen gestalteten Welt in Kunstwerke zu verwandeln. Das Kunstmuseum Wolfsburg widmet ihm jetzt eine umfassende Retrospektive, für die es seine Ausstellungsräume in eine Stadt verwandelt.
Eine nächtliche Straßenkreuzung im Winter. Schnee und Eis bedecken die menschenleere Fahrbahn. Niemand ist weit und breit zu sehen. Stoisch schalten die Ampeln von rot auf grün. Von grün auf rot.
Die menschenleere Kreuzung ist eine Arbeit des belgischen Künstlers Hans Op de Beeck. Nur zwei mal zwei Meter groß ist die gespenstische Szenerie. Und so detailliert, dass man die Kälte der einsamen Landstraße fast spüren kann. Eine Miniatur mit großer Wirkung.
Eintauchen in magische Welten
"What I try to do in general, and you'll see further on my exhibition, is to stage silence",
erklärt Op de Beeck auf einem Rundgang durch die Ausstellung. Es gehe ihm immer wieder darum, für die Stille eine Bühne zu finden. Die Schau im Kunstmuseum Wolfsburg ist seine erste große Retrospektive. Auf zwei Etagen zeigt "Out of the Ordinary" Arbeiten aus zwei Jahrzehnten. Der Besucher soll förmlich eintauchen können in die magischen Welten des Künstlers. Kurator und Museumschef Ralf Beil ist begeistert:
"Das ist wirklich ein Gesamtkunstwerk, was sich entfalten wird. Denn die Arbeiten sind eingebettet in eine Gesamtgestaltung. Wir haben dort eine ganze Landschaft gebaut, Industrie-, Vorstadtbrache, wenn sie so wollen. Strommasten und Leitungen."
Schon der erste Raum vermittelt den Besuchern ein irritierendes Erlebnis. Die große, komplett in hellgrauer Farbe getünchte Bibliothek, ist nur scheinbar ein Abbild der Realität. Wer diesen Raum genauer untersucht, bemerkt schnell, dass nichts an diesem Ort echt ist.
Die Cola-Dose entpuppt sich beim Hochheben als schwerer Klumpen. Wer sich auf einem der eleganten Sofas niederlassen will, wird enttäuscht. Was weich aussieht, ist in Wirklichkeit bretthart.
Es sind keine Sofas, sondern Dinge, die so aussehen wie Sofas. Erst in unserem Kopf werden die Gegenstände mit Bedeutung belegt. Genau darum geht es in all seinen Arbeiten.
"Alles beginnt aus der Alltäglichkeit heraus. Aus dem Nicht-Ordinären, aber aus dem Alltag heraus, aber es wird eben natürlich verwandelt und das ist die zweite Seite, 'Out of the Ordinary' ist eigentlich natürlich das Außergewöhnliche, die Mischung zwischen Realitätsfülle, Nähe an Details und dann wieder Abstraktion. Sie sind in jedem Moment - und das merken Sie auch - in einem Kunstwerk. Aber gleichzeitig sind Sie umfangen, dass Sie eintauchen in die Welt dieser Installationen."
Installationen, die täuschend echt erscheinen können. Aus der grauen Bibliothek geht es hinaus auf eine große Dachterrasse. Im Rücken haben wir die steinernen Wände des Hauses. Nach unten öffnet sich der Blick auf die dunklen Dächer einer nächtlichen Stadt.
Die Kulissen stehen eine Etage tiefer im Erdgeschoss der Kunsthalle. Vereinzelte Straßenlaternen erleuchten die Szenerie. Eine Feuertonne wirft flackerndes Licht auf kahle Häuserwände. Mittendrin plätschert eine Fontäne.
Ein Symbol sei dieser Springbrunnen für die Anwesenheit von Menschen, sagt Op de Beeck. Und ihre Art, ihre Umgebung zu "stagen", also zu inszenieren, vor allem in den großen Zentren, den Städten.
"Yet a fontain is a kind of a kitsch-thing as well. It's a kind of a joyless machine, performing the water."
Eine Vergnügungsmaschine, die Wasser performt und die nächtliche Stadt mit einer magischen Stimmung belegt. In jedem Haus trifft der Besucher auf eine andere Arbeit. Da rast ein hell erleuchteter Ozeanriese durch die Nacht. Die Lichter von hunderten Kabinen spiegeln sich im dunklen Wasser des Meeres. Da führt ein vereister Weg zu einem geschlossenen Vergnügungspark. In einem Miniatur-Wohnwagen brennt hinter den zugezogenen Vorhängen noch Licht.
Illusion und Bühnenbild
"Das heißt, es geht um Lichter, es geht um Klimata, Tonlagen, Farben, all dieses spielt eine ganz, ganz, große Rolle",
erklärt Kurator Beil seine Faszination für Op de Beecks Werke. Immer wieder arbeitet der belgische Künstler als Regisseur. Er inszeniert Sprechtheater und große Opern - und das merkt man. Die Lust, Räume mit den Mitteln der Illusion zu gestalten, ist ein ganz wesentliches Moment dieser Kunstwerke.
Und eben diese Lust am Bühnenbild führt dazu, dass in den Arbeiten etwas fehlt. Menschen sind nämlich nirgendwo zu sehen. So sehr die Settings an Filmbilder von David Lynch oder Stanley Kubrick erinnern, die Geschichten entwickeln sich ausschließlich in den Köpfen der Besucher.
Das kann man fordernd und inspirierend finden. Oder auch ein bisschen simpel Es verhält sich tatsächlich wie mit der Faszination für den Modellbau - was für den Sammler eine Boeing 747 oder die TITANIC Ist, ist für den anderen vielleicht nur ein bisschen zusammengeleimtes Plastik.