Schwarz-Weiss als roter Faden
Jens Dirksen | Westfalenpost, 21 March 2018
DÜSSELDORF. Eine sehenswerte Ausstellung im Düsseldorfer Kunstpalast lässt die Geschichte der farb-armen Malerei Revue passieren. 100 Werke von 75 Künstlern.
Unter dem Covergirl dieser Ausstellung, der in eine Lustlandschaft hineindrapierten „Odalisque“ von Jean-Auguste-Dominique Ingres, breitet sich ein blassgelbes Laken mit einem Hauch von Rosa über die Leinwand. Gegenüber hängt, treffsicher kombiniert, im Düsseldorfer Kunstpalast nun Picassos Modigliani-Parodie „Nu couché“, unter deren Körpermassiv ein Streifenmuster in gedecktem Gelb ein Betttuch andeutet. Beim Ausstellungstitel „Black & White“ handelt es sich also selbst um eine gewisse Schwarz-Weiß-Malerei, die auf widerspenstige Details nicht viel Rücksicht nimmt. Und in geistiger Hinsicht vielleicht allzu sehr in Verruf steht.
Vor allem aber kreist diese Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit der National Gallery in London entstand und dort bereits zu sehen war, mit rund 100 Werken der farbreduzierten Kunst ein Genre ein, dem bislang noch nie eine solche Ausstellung gewidmet war.
Dabei kann Schwarz-Weiß-Sehen den Blick aufs Wesentliche richten und Erkenntnis fördern. Architekturfotografen nutzen diesen Umstand bis heute, um Komposition und Entwurfs-Leistung eines Gebäudes herauszustellen. Ganz ähnlich war schon das Farbverbot der Zisterzienser im Mittelalter motiviert. Dieser Tradition, die besonders für die Fastenzeit galt, verdanken sich etwa die farblosen Altar-Vorderseiten von Marten de Vos (nach 1569); geradezu grandios bescheiden kommt das 4,40 Meter hohe Leintuch aus Genua daher, das die Passionsgeschichte Christi am Ölberg in Tempera ungeheuer plastisch ausmalt und in der Karwoche aufgehängt wurde, um das Innere einer Kapelle zu simulieren.
Schein-Scherben und Federstriche
Überhaupt machen Studien von Dürer, Rubens und anderen klar, dass die monochrome Malerei eine atemberaubende räumliche Wirkung erzielen kann: Zum Greifen schön der Faltenwurf von Dürers Gottvater-Gewand oder Tiepolos steinerner Rahmen eines Freskos, das in Wahrheit nur eine Leinwand ist. Wenig später wurde daraus ein eigenes Genre, die Grisaille-Malerei.
Schwarz-Weiß diente auch dazu, die Künstlermuskeln spielen zu lassen, etwa beim genialen Maler Hendrick Goltzius, der ein Zwei-Meter-Gemälde mit 1002 Federstrichen aus Tinte wirken ließ wie einen gigantischen Kupferstich. Bei Etienne Moulinneufs Augentäuscher-Gemälde mit der Küchenmagd-Grafik hinterm zersprungenen Glasrahmen ist es indes wieder der bläuliche Schimmer der Schein-Scherben, der den Clou des wiederum nur fast schwarz-weißen Gemäldes ausmacht.
Mit Josef Albers’ Quadrat-Hommage in Grau und Schwarz, Gerhard Richters unscharfem Gazetten-Foto-Gemälde, mit Günther Ueckers schattenspendenden Korken in Weiß, der schieren Dynamik-Explosion von Karl Otto Götz oder Wolfgang Ludwigs Op-Art-Kreisen ist es eine Lust, das Schwarz-Weiß als heimlichen roten Faden des 20. Jahrhunderts zu entdecken. Aus dem Schlusspunkt der Ausstellung, die noch vom einstigen Kunstpalast-Chef Beat Wismer ins Rollen gebracht wurde, macht die Raum-Installation von Hans Op de Beeck ein stilles Ausrufezeichen. Vom Sofa bis zum Seerosen-Teich ist ein Luxus-Ambiente mit Sofa und Klavier, Skulpturen und Vitrinen komplett in Grau-Töne getaucht. Dazu tröpfeln im „Collector’s House“ Klaviertöne von der Decke – und nicht nur der Totenkopf auf dem kleinen Tisch erinnert an die Vergänglichkeit. Auf den Polsterkissen dieses Raums kann man zur Ruhe kommen und sich auf das Wesentliche besinnen. In all dem Grau keimt dann irgendwann der frühlingsbeflügelte Verdacht, dass Farbe vielleicht eine Äußerlichkeit ist – aber doch nicht ganz unwesentlich.