Hans Op de Beeck - Die eigene Stimme finden
Michael Stoeber | Kunstforum International Bd. 251, 1 December 2018
Für seine in diesem Herbst zu Ende gegangene Ausstellung "Out of the Ordinary" hatte Hans Op de Beeck im Kunstmuseum Wolfsburg auf 2200 Quadratmetern eine nächtliche Stadt aufbauen lassen. Bei ihrer Erkundung glaubte der Betrachter, in einem Traum und Alptraum zugleich zu sein. Gemischte Gefühle, wie sie das Publikum bei der Betrachtung der Arbeiten des belgischen Multimedia-Künstlers nicht selten erlebt. Die Stadt im Museum präsentierte sich dabei als grandiose Kunstkammer für nur einen Künstler und zeigte seine Werke in retrospektiver Weise. Von der frühen Raumarbeit "Location I" über die Installation "The Collector’s House" bis hin zum Gesamtkunstwerk "Sea of Tranquility". Michael Stoeber hat mit Hans Op de Beeck über die sensationelle Schau gesprochen. Aber auch über ihn prägende Erfahrungen in seiner Kindheit, sein Leben als Familienvater, warum er Künstler geworden ist, was er unter Kunst versteht und welche Bedeutung sie für ihn hat.
Michael Stoeber: Auf der diesjährigen Biennale in Venedig leitet Christine Macel ihre epische Ausstellungserzählung über die zeitgenössische Kunst mit einem Kapitel über künstlerische Schaffensprozesse ein. Was motiviert Sie zu künstlerischer Arbeit?
Hans Op de Beeck: Ich gehe von ganz alltäglichen Erlebnissen und Erfahrungen aus. Und dann versuche ich, für sie Bilder zu finden, die universell gültig sind.
Wie habe ich mir das vorzustellen?
Wissen Sie, ich werde o nach meinen Vorbildern gefragt. Sicher gibt es Künstler, die ich sehr schätze und liebe wie die Coen Brüder und ihre Filme oder Raymond Carver und seine Erzählungen oder Peter Doig und seine Bilder. Aber ich sage immer, als Künstler muss man auf sein eigenes Leben schauen und von ihm ausgehen. Meine Themen sind häufig ganz banale Dinge. Die versuche ich zu Bildern zu formen, in denen sich der Betrachter wiederfindet.
Sie arbeiten dabei in sehr unterschiedlichen Medien.
Ja, aber ob ich nun eine Installation entwerfe, eine Zeichnung anfertige, eine Musik komponiere oder ein Theaterstück schreibe und inszeniere, stets bin ich dabei mein erster Betrachter und immer geht es mir darum, hinter dem Anekdotischen und Alltäglichen eine tiefere, allgemeingültige Wahrheit aufscheinen zu lassen.
Wie hat Ihr Elternhaus Ihre Karriere als Künstler beeinflusst?
Oh, ich komme aus sehr schwierigen familiären Verhältnissen. Mein Vater litt unter einer schweren bipolaren Störung, meine Mutter war bitter und verschlossen und ich ein schüchternes und stilles Kind. Um meinem Elternhaus zu entfliehen, zog ich mich in die Welt der Comic Books zurück. Ich las sie nicht nur, sondern zeichnete auch selbst Comics. Das ist der Ursprung meiner künstlerischen Karriere: der Versuch, eine fiktionale Welt zu erscha en, in der sich gleichwohl Echos der erlebten finden.
Vielleicht bin ich ein so detailverliebter Manierist, weil ich genau der sein will.
Und wie war es für Sie auf der Kunstakademie?
Da hatte ich Lehrer, die im Geist der Minimal Art lebten und lehrten. Denen war ich immer zu barock. Sie wollten, dass ich reduzierter arbeite. Ich habe es versucht. Aber irgendwann gab ich es auf und dachte: Vielleicht bin ich ein so detailverliebter Manierist, weil ich genau der sein will.
Heute unterrichten Sie selbst an Kunstakademien in ganz Europa. Wie machen Sie es?
Ich versuche, die Studierenden zu ermutigen, konsequent und hartnäckig ihre eigene Stimme zu finden und ihr zu folgen. Wenn ich von mir sage, dass ich viele meiner Bilder intuitiv finde, glauben manche, ich sei kein intellektueller Künstler. Aber sich bei seinem Werk nicht auf tausende von Kunstphilosophen zu berufen, heißt nicht, dass die eigne Arbeit simpel ist. Das Wichtigste ist herauszufinden, wer man ist, und dieses Wissen für sich zu nutzen.
Sind Sie ein melancholischer Mensch? Dein Eindruck habe ich, wenn ich auf Ihre Werke schaue.
Wenn Sie ein Buch lesen, in dem alle glücklich sind, ist das nicht nur unrealistisch, sondern auch uninteressant. Wenn Sie dagegen ein Buch lesen, in dem der Protagonist unglücklich und elend ist und dagegen ankämp , können Sie sich viel besser mit ihm identifizieren, denn so ist das Leben. Das ist die alte Idee der Katharsis in der Kunst. Daher ist mir daran gelegen, die tragische und dunkle Seite des Lebens in mein Werk zu integrieren. Aber es hat auch eine sehr humorvolle Seite.
Zum Beispiel in der Installation "The Collector’s House", mit dem Ihre Wolfsburger Schau eröffnet.
Ja, in diese Installation habe ich ganz viele lustige und ironische Details eingefügt, die den Betrachter ho entlich amüsieren, sodass er das Werk nicht nur als Sea of Silence wahrnimmt. In "The Collector’s House" wollte ich die pompösen, neoklassizistischen Attitüden eines neureichen Sammlers bloßstellen. Er hat ein wundervolles Piano, aber er spielt es nicht. Er hat eine fabelhafte Bibliothek, aber er liest nicht. Das hat auch eine tragische Dimension und erzählt davon, wie unbeholfen und lächerlich wir alle oft in dem Bemühen sind, uns in unserem Leben gelingend einzurichten.
Tragisch und komisch zugleich.
Ja, unsere Anstrengungen sind nicht selten von einer an Beckett erinnernden Absurdität. Aber genau deshalb sympathisiere ich mit den Menschen. Wie erschreckend wäre es, wenn wir alle vollkommen wären.
Die Condition humaine stürzt Sie nicht in Depressionen?
Keineswegs. Ich habe immerhin vier Kinder. Das bezeugt doch meinen Glauben an menschlichen Fortschritt. In dem Zusammenhang kann ich Ihnen etwas Lustiges erzählen. Als eine Sammlerin von mir mich mit meinen Kindern im Park spielen sah, war sie höchst erstaunt darüber. Sie dachte wohl, ausge- hend von meinem Werk, ich müsste permanent am Leben leiden. (Lacht)
Haben Sie Angst vor dem Tod?
Überhaupt nicht. Ich habe das in manchen Gesprächen auch meiner Frau gesagt, die sich im Gegensatz zu mir sehr vor dem Tod fürchtet. Natürlich hoffe ich, noch lange am Leben zu bleiben, um für meine Familie sorgen zu können. Aber ich fürchte mich nicht vor dem Tod. Als Kind ja, in Gegenwart eines aggressiven Vaters, heute nicht mehr. Inzwischen habe ich, Gott sei Dank, die Fähigkeit erworben, mich mental auf alle möglichen Eventualitäten im Leben vorbereiten zu können, den Tod eingeschlossen. Und das hilft mir.
Lassen Sie mich auf meine Anmutung Ihres Werks zurückkommen. Gibt es für Sie ein generelles Thema, das Ihre Werke miteinander verknüpft?
Für mich ist das die Absurdität, der jedes menschliche Leben unterworfen ist. Einerseits geht es mir darum, dem eine tröstliche Komponente abzugewinnen. Andererseits will ich diese Kondition aber auch klar herausstellen. Doch ich bin kein Künstler, der in irgendeiner Weise missionieren möchte.
Oder zum Moralisieren neigt.
Nein, nein. Überhaupt nicht. Wissen Sie, ich bin jemand, der in seinem Leben selbst alle möglichen Fehler gemacht hat. Entschuldbare und unentschuldbare. Wer bin ich, um dem Betrachter zu sagen, wie er leben soll.
"The Collector’s House" haben Sie zum ersten Mal in Basel auf der Art Unlimited gezeigt. Hier in Wolfsburg haben Sie dem Haus noch einen großen Balkon vorgesetzt.
Ja, um von dort auf die darunterliegende, schmutzig saubere Straße und nächtliche Stadt zu schauen, die wir in Wolfsburg aufgebaut haben.
Was meinen Sie mit schmutzig sauber?
Na, ja, sie besteht aus schwarzem Teppichboden. (Lacht) Es geht mir nicht um ein hyperrealistisches Setting. Alles wird von einem monochromen Schwarz beherrscht.
Was einen ziemlich dystopischen Eindruck macht. Was bedeutet Ihnen die weitgehende Abwesenheit von Farbe in Ihrem Werk?
Das ist eine strategische Maßnahme. Ich setze Farbe oder Nicht-Farbe sehr gezielt ein. Und versuche dabei, eine Idee zu repräsentieren. Wollte ich die Wirklichkeit in meinen Werken simulieren, würde ich automatisch die ganze Farbpalette nutzen. Beinahe jedes Ding in meinen Installationen wurde in meinem Atelier von mir und meinen Mitarbeitern von Hand gemacht, sodass es sich immer um eine Interpretation der Wirklichkeit handelt. Nicht um Nachahmung.
Ich kenne Ihre Formel: Keine Simulation, sondern Interpretation. Aber worauf zielen Ihre Interpretationen?
Ich versuche, mit ihnen eine Stimmung zu erzeugen. Dabei geht es mir stärker um die präzise Balance zwischen Form und Inhalt als um die Vermittlung eines bestimmten Inhalts. Der Inhalt ist meine geringste Sorge. Schauen Sie auf die Bilder von Morandi. Drei Flaschen auf einem Tisch sind eigentlich kein Inhalt, und dennoch repräsentieren seine Gemälde eine ganze Welt.
Mir geht es darum, Werke zu schaffen, die in gewisser Weise selbstevident sind. Die einen natürlichen und logischen Charakter haben.
Ist Ihre Installation "The Garrett" eine Hommage für Morandi? Oder auch für Vermeer?
Vielleicht insofern, als ich irgendwann verstanden habe, dass es kein bedeutendes Thema für ein bedeutendes Werk braucht. Sondern wichtig wird es, weil es formal richtig ist. Auch die Motive von Vermeer könnten schlichter nicht sein: Eine Frau liest einen Brief oder gießt Milch aus einem Krug.
Dennoch ist "The Garrett" voller inhaltlicher Implikate. Ähnlich wie "Table", wo Ihnen eine Verschiebung der Perspektive genügt, unser aller Verletzungen in der Kindheit sichtbar zu machen. Ihr Tisch ist so groß und übermächtig, dass wir vor ihm wieder zu kleinen Kindern werden.
Die Subtexte sind mir wohl bewusst. Aber das Werk darf sie nicht ausstellen. Mir geht es darum, Werke zu schaffen, die in gewisser Weise selbstevident sind. Die einen natürlichen und logischen Charakter haben.
Wenn ich auf Ihren "Amusement Park" schaue, könnte ich kaum weniger amüsiert sein. Und doch empfinde ich die winterliche Erstarrung völlig plausibel als Symbol unseres Seins.
Genau um diese Form der Wahrnehmung geht es mir. Es gibt keinen Zweifel, dass der "Amusement Park" eine Konstruktion ist, aber wichtig ist allein, was er emotional und rational beim Betrachter bewirkt. Wenn die Zuschauer in Frankfurt mein Theaterstück "Nach dem Fest" sehen, zählt nur, inwieweit sie davon berührt werden, nicht wie echt oder wie falsch das Bühnenbild ist.
Könnten sie dieselben Effekte mit der Verwendung von Readymades erreichen?
Nein, das glaube ich nicht. Ich muss die Dinge selbst scha en, wie ich als Teenager Comics gezeichnet habe. Deshalb enthält mein Text für das Wolfsburger Katalogbuch auch ganz bewusst keine Referenzen und Fußnoten. Ich will meine eigene Stimme hörbar machen.
Gibt es eine Hierarchie für Sie unter den vielen Medien, die Sie meistern und benutzen?
Bereits als Kunststudent schuf ich die menschenleere, nächtliche Kreuzung "Location 1", das älteste
Werk in der Wolfsburger Ausstellung. Weitere Installationen dieser Art folgten. Bis ich begriff , wie sehr ich diese Form beherrschte. Und dann habe ich Videofilme gedreht mit ganz vielen Menschen darin. Ein anderes Beispiel: Als Oliver Reese mich als Regisseur, Komponist und Stückeschreier nach Frankfurt einlud, erwartete er von mir ein eher stilles Stück in Bildern. Ich schrieb zu seinem Erstaunen ganz viel Text. Noch dazu mit Brüchen, navigierend zwischen Tragik und Komik, Kunst und Kitsch. Wenn es zu leicht wird und ich mir einer Sache allzu sicher bin, wechsele ich das Medium. Ich will als Künstler in keiner Komfortzone verharren.
Ein solcher Bruch lässt sich auch im Plakat Ihrer Wolfsburger Ausstellung beobachten. Einerseits zeigt es ein ganz normales junges Mädchen, das herumspielt, andererseits eine Art von Seelenführerin, die einen, wenn auch nicht ins Jenseits, dann doch in Ihr Werk hineinführt. Ist das richtig?
Ja, das ist auch der Sinn des Titels, den ich für die Ausstellung gewählt habe. "Out of the Ordinary" meint die Wahl ganz gewöhnlicher Dinge, die durch die Art ihrer Darstellung außergewöhnlich werden. Das Spiel des jungen Mädchens ist banal, der Kontext, in den es gestellt wird, dagegen überhaupt nicht.
Weil dabei weitergehende Erinnerungen wach werden?
Es ist wie mit den Madeleines bei Proust, jenen Küchlein, bei deren Genuss der Erzähler seine Kindheit schmeckt. Als ich nach dem Tod meines Vaters seinen keineswegs wertvollen Füllfederhalter erhielt, war er für mich besonders, weil es mein Vater war, der mit ihm geschrieben hatte. Als mir in meiner Not einmal ein Freund mitten in der Nacht in einer billigen Kneipe zuhörte und mir seine Hilfe anbot, wann immer ich sie brauchte, wurden mir darau in diese Nacht, die Kneipe und das Gespräch unvergesslich. Oder wenn eines meiner Kinder auf meiner Brust einschläft : Das ist offensichtlich keine große Sache, und doch gibt es für mich nichts, das dem gleichkäme. Es ist so wenig und zugleich so viel. Ähnliches finde ich auch in guter Kunst. In einem Morandi, einem Vermeer. Oder in der Idee eines Zen-Gartens, in dem ein Stein und ein Zweig die ganze Welt repräsentieren.
Und auf solch existenzielle Gefühle zielen auch Ihre Werke?
Ja. Und manchmal bediene ich mich dabei der Schönheit und manchmal des Klischees. Sie treten regelmäßig und notwendig zusammen auf, denn wir Menschen sind, wie schon gesagt, nicht perfekt. So ist das auch In meinem Frankfurter Stück, was meinen Dramaturgen anfänglich in große Verwirrung stürzte. Oder in einem etwas schnulzenha en Popsong, von dem man auch nur ungern zugibt, dass man ihn im Grunde liebt. (Lacht) Er ist total banal, aber wenn er große Gefühle und Erinnerungen auslöst, kann er trotzdem Kunst sein.
A propos Popsong. In Ihrem Film zu "Sea of Tranquility" singt die farbige Jazzsängerin einen von Ihnen komponierten Song mit der Zeile "Please, let me drift away". Ist das Eskapismus oder Therapie oder beides?
(Lacht) Ich nehme an, beides. Ich habe für den Text bewusst amerikanisches Englisch mit einem Klischee über das Wetter verwandt. (Singt) "Don’t know why the skies turned so grey. Didn’t see the gloom coming my way." Das ist so albern. Aber zugleich könnte es ein Abschied von einer Liebe oder auch vom Leben sein. Man weiß es nicht. Der Song wird zugleich unschuldig und glamourös vorgetragen. Es ist kein dunkler Song, aber trotzdem hat der Text Tiefe.
Sie betonen wiederholt die zwei Seiten Ihrer Werke: Licht und Schatten, Kunst und Kitsch, das Schwere und Leichte. Und die Notwendigkeit, sie auszubalancieren.
Ja, genau darum geht es mir.
Diese Ambivalenz zeichnet auch Ihre große Installation "Sea of Tranquility" aus. Wie kam es zu dem Werk?
Ich hatte die Idee dazu in St. Nazaire, wo ich zu einer Ausstellung eingeladen war. Dort bauen sie solche riesenhaften Kreuzfahrtschiffe. Sie geben das Modell für die "Sea of Tranquility" ab, obwohl sie natürlich eine völlig fiktionale Schöpfung ist. Trotzdem habe ich mich bei dem Entwurf der Kenntnisse eines Ingenieurs versichert. Allerdings habe ich das Schiff so konstruiert, als sei ich Zaha Hadid. Seine mäandernden Formen sprechen jedem wirtschaftlichen Interesse Hohn. Außerdem hat es eine aggressive, militärische Seite. Es ist schwarz, vom Radar nicht erfassbar und entschwindet unerkennbar in die Nacht. Ich habe dann die Schau in Saint Nazaire wie eine Museumsausstellung über die Entstehung und den Betrieb der "Sea of Tranquility" entwickelt. Der Film, der das Leben an Bord zeigt, wurde allerdings erst für die Wolfsburger Ausstellung hergestellt.
Man sieht in Ihrem Film, dass das Schiff auch über eine Shopping Mall, plastische Chirurgie und einen Beerdigungsservice verfügt. Haben Sie das alles am Computer entworfen?
Ja, bis auf das Theater, in dem die Passagiere unterhalten werden. Das existiert tatsächlich und bis auf die Villa des Kapitäns, in der er vor seiner Abreise gezeigt wird.
Ihre Ausstellungsequenz eröffnen Sie mit zwei Plastiken, die des Kapitäns und eines farbigen Zimmermädchens.
Sie repräsentieren die Extreme der Schiffshierarchie: das Zimmermädchen, das immer unsichtbar bleibt, und der nicht zu übersehende Kapitän als wichtigster Mann an Bord. Auf solchen Luxuslinern herrscht eine unglaubliche Klassengesellschaft wie in dem Film "Metropolis" von Fritz Lang. Den Menschen, die in den Maschinenräumen arbeiten, ist es verboten, die Oberdecks zu betreten. So ein Schiff ist wie eine Gated Community. 1.000 Menschen arbeiten für 3.500 Gäste, deren wichtigste Tätigkeit im Essen zu bestehen scheint.
Was reizt die Passagiere an solchen Reisen?
Wahrscheinlich genau diese Struktur. Der Luxus und dass alles vorhersehbar und sicher ist. Es gibt überhaupt keine Kriminalität. Zugleich ist alles normiert, künstlich und falsch. Das Leben, das wir normalerweise führen, ist von Zufällen, Fehlern und Katastrophen bestimmt. Die werden hier, so gut es geht, ausgeschlossen.
Haben Sie darum Ihr Schiff "Sea of Tranquility" genannt? Um diese Friedhofsruhe zu karikieren?
Die Namen solcher Ozeanriesen beziehen sich zumeist auf europäische Königshäuser wie bei der „Queen Mary II“, oder sie feiern den Sieg über das Meer wie in "Eroberer der Meere", "Sieben Meere" etc. Der Name meines Schiff es inszeniert ein Kontrastprogramm. In ihm klingt die Langeweile nach, die an Bord herrscht. Wo man, um nichts kämpfen muss. Wo für alles gesorgt ist.
Wie stark war Ihr Wunsch, mit Ihrem Schiff aktuelle gesellschaftliche Verhältnisse zu spiegeln?
Ich hatte anfangs die Befürchtung, das Werk könnte allzu sehr als sozialistisches Manifest missverstanden werden. Daher hatte ich den Ehrgeiz, es so zu gestalten, dass es in vielfältiger Weise lesbar wird. Wissen Sie, Kreuzfahrtschiffe gibt es seit etwa 120 Jahren. Zu Beginn transportierten sie hauptsächlich Auswanderer, die ihr Glück in Amerika oder Kanada suchten. Dass sie für die heutigen Passagiere Vehikel eines ganz anders gearteten Eskapismus sind, ist offensichtlich. Ich wollte mit meinem Schiff aber nicht die Träume und Sehn- süchte einer bestimmten Klasse denunzieren, sondern deutlich machen, wie unterschiedlich Menschen gegenwärtig Arbeit, Muße und Freizeit erleben. Für die Fertigung der "Queen Mary II", die in Saint Nazaire gebaut wurde, als ich mich dort aufhielt, brauchte es etwa 10.000 Arbeiter, die man natürlich nicht hatte und aus Asien rekrutierte. Sie wurden dann in Containern untergebracht, die in starkem Maß Flüchtlingslagern ähnelten. Auch ihre miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen sind Teil meines Werks.
Viele Kritiker bewundern die Magie Ihrer Werke, zum Beispiel in "Staging Silence". Ist das eine Qualität, die Ihnen wichtig ist?
Ich betrachte diese Wertschätzung als Kompliment. Nicht, dass ich mich um Magie besonders bemühen würde, aber wenn sie für den Betrachter eine Tiefe bedeutet, die das Werk "Out of The Ordinary", aus dem Gewöhnlichen ins Außergewöhnliche, hebt, dann macht mich das glücklich.
Mit großer Freude schaffe ich die melancholischsten Werke auf der ganzen Welt.
Verstehen Sie sich als konzeptuellen Künstler?
Viele halten mich dafür. Aber das stimmt nicht. Ich bin ein Macher. Fast wie Jackson Pollock. Ich will einfach anfangen und dann die Dinge entwickeln. Ich habe eine Idee und will sie selbst ausführen: Das Stück schreiben, den Song komponieren, im Atelier arbeiten. So wie ein Schauspieler, der seine Rolle modelliert. Der Arbeitsprozess selbst ist eine ungeheure Befriedigung für mich. Wegen der melancholischen Anmutung meiner Werke denken manche Leute, es gebe keine Freude in ihnen. Aber das Gegenteil ist wahr. Mit großer Freude schaffe ich die melancholischsten Werke auf der ganzen Welt.
Übersetzung aus dem Englischen: Michael Stoeber