Zurück zur Erzählung: "Autofiktionen" in Ludwigshafen
Nicole Buesing and Heiko Klaas | Dare, 10 December 2018
Ende November fand die 16. Ausgabe der auf Videokunst spezialisierten LOOP Barcelona statt. Über 4.500 überwiegend professionelle Besucher trafen sich zum intensiven Austausch rund um die internationale Videoproduktion.
Sie begegnen uns auf Schritt und Tritt. Videos, kurze Filmchen mit bewegten Bildern, haben seit vielen Jahren Einzug in unseren Alltag gehalten: ob als Nachrichtenclip im Online-Newsportal, als Do-it-yourself- oder Influencervideo auf Youtube, als Kochanleitung auf Social Media-Seiten oder als Animationsfilm für Kinder auf dem iPad. Spätestens mit den ersten Video-Experimenten Nam June Paiks in den 1960er Jahren haben von Künstlern produzierte Kurzfilme auch Einzug in den Kunst- und Ausstellungsbetrieb gehalten. Heute ist das Medium Video aus dem Kunstbetrieb nicht mehr wegzudenken. Und auch der Sammlermarkt für zeitbasierte Medienkunst wächst kontinuierlich.
Internationale Großsammler wie die Düsseldorferin Julia Stoschek oder das Ehepaar Isabelle und Jean-Conrad Lemaître aus Frankreich setzen neue Maßstäbe, an denen sich auch die öffentlichen Museumssammlungen orientieren müssen.
Ende November fand nun die 16. Ausgabe der Videomesse LOOP in Barcelona statt. Die von den Galeristen Emilio Álvarez und Carlos Durán gegründete Spezialmesse gilt international als das wichtigste Branchentreffen der Videoszene. Während der drei intensiven Messetage, eingebettet in das zehntägige LOOP Festival, das mit vielen Screenings, Ausstellungen und einem anspruchsvollen Rahmenprogramm auch die lokale Szene in Barcelona miteinbezieht, gelang es der künstlerischen Leiterin Carolina Ciuti, die wichtigsten Protagonisten der internationalen Videoszene in die katalanische Hauptstadt zu holen. Ein anregendes und gut besuchtes Talk-Programm, bei dem wichtige Kuratoren wie Hans Ulrich Obrist, die Filmkuratorin der Art Basel, Maxa Zoller, internationale Sammler wie die Turinerin Patrizia Sandretto Re Rebaudengo und Monika Kerkmann, Direktorin der Julia Stoschek Collection, sowie Barbara London, langjährige Video-Kuratorin am New Yorker Museum of Modern Art (MoMA), auftraten, sorgte für den intellektuellen Überbau.
Als Venue für die diesjährige Ausgabe der LOOP Barcelona konnte das moderne Fünfsternehotel Almanac Barcelona gewonnen werden. 42 Galerien aus 20 Ländern, darunter 26 aus Europa, präsentierten auf drei Etagen der Luxusherberge Videoarbeiten in den geräumigen und überwiegend abgedunkelten Hotelzimmern. Die Besucher der Messe konnten es sich auf Betten, Sofas und Sesseln bequem machen, um die unterschiedlich langen Videoproduktionen zu betrachten. Dabei reichte die Bandbreite der im Durchschnitt rund 16 Minuten langen Filme von textbasierten Konzeptfilmen über narrative Stories mit Krimi-Qualität bis zu experimentellen Animationen mit innovativem Sound. Bemerkenswert: Mit 20 Frauen und 22 Männern war das Geschlechterverhältnis nahezu ausgeglichen.
Den LOOP Fair Award 2018 erhielt in diesem Jahr die Galerie Iragui aus Moskau, die sich seit vielen Jahren konsequent bemüht, russische Konzeptkunst auch auf internationalem Parkett bekannt zu machen. Auf der LOOP Fair zeigte Galeristin Ekatherina Iragui den 27-minütigen Film „Steamboat Dionysius“ von Olga Chernysheva aus dem Jahr 2004. In unaufgeregten Bildern filmt die Kamera zwei Protagonisten während einer Flussfahrt mit dem Ausflugsdampfer. Unterlegt mit melancholischer, nostalgisch anmutender Musik entführt dieser Film in die Welt der post-sowjetischen Menschen jenseits der Weltstädte Moskau und St. Petersburg und ihrer international vernetzten Eliten. Wir erleben die Protagonisten bei einer anrührenden Tanzdarbietung ebenso wie beim Genuss einfacher, traditioneller Speisen und Getränke. Die Welt da draußen scheint für Olga Chernyshevas ländlich geprägte Protagonisten hingegen fremd und unerreichbar zu sein. Irgendwie haben sie sich eingerichtet in der heimatlichen, von alten Klöstern und Industriebrachen geprägten Flusslandschaft und den kleinen Vergnügungen, die sie sich leisten können.
Fremd und geheimnisvoll erscheint auch das Mädchen in dem gleichnamigen, 16-minütigen Animationsfilm „The Girl“ von Hans Op de Beeck aus dem Jahr 2017. Die Amsterdamer Galerie Ron Mandos präsentierte diese aufwändige Großproduktion des vielseitigen belgischen Künstlers, der auch die eindringliche Musik zu dem narrativen Film geschrieben hat. Ein totenbleiches, ganz offenbar verletztes Teenager-Mädchen steht im Mittelpunkt der grotesken Bilderfolge, die den Betrachter in eine dystopische Modellbauwelt voller nächtlich-verregneter Autobahnbrücken, Waldlichtungen, Müllkippen, Industriebrachen und nebelverhangener Sumpf- und Seelandschaften entführt. Die Arbeit changiert zwischen modernem Märchen, düsterem Horrorfilm und fantastischem Musik-Video-Clip. „The Girl“ erregte beim professionellen Publikum der LOOP Fair große Aufmerksamkeit. Er wurde für 34.000 Euro in einer 10er-Auflage angeboten.
Im großen Kontrast dazu stand der rund 15-minütige Film „The God of the Labyrinth“ des in London lebenden, japanischen Konzeptkünstlers Yoi Kawakubo. Der im spanischen Toledo geborene und aufgewachsene Japaner hat einen Text des argentinischen Schriftstellers Jorge Luis Borges dekonstruiert und aus dessen Elementen wiederum einen neuen Text generiert, dessen einzelne Wörter er als englischsprachige Schriftabfolge auf dem Screen zeigt. Über Kopfhörer hört der Betrachter die Stimme des Künstlers, der den projizierten Text wiederum in spanischer und japanischer Sprache einspricht. Poetische Sprache, ein subtiler Umgang mit dem Jedermann vertrauten Lost-in-Translation-Phänomen und das kognitive Zusammenfügen von Leerstellen kennzeichnen diese formal und intellektuell herausfordernde Arbeit, die von der Londoner Galerie Yamamoto Keiko Rocheix präsentiert wurde.
Der nur rund 5-minütige Loop des moldawischen Documenta-Teilnehmers Pavel Braila von 2010 trägt den Titel „Kick Off“. Zu sehen ist in einer einzigen Kameraeinstellung ein metallenes Tor in einer urbanen Siedlung. Man hört, wie ein Fußballer mit einem Ball kickt, der regelmäßig auf das Metalltor geschossen wird und dort dunkle Abdrücke hinterlässt. Die Kameraeinstellung ist auf das unscheinbare Tor fokussiert, auf dem sich die Spuren des offenbar nassen Balles wie Spuren tröpfelnder Farbe beim Action Painting sammeln. Gleichzeitig beinhaltet das kurze, prägnante Video auch eine autobiografische Komponente. Pavel Braila ist die Jugend auf den Straßen und in den Trabantenstädten Osteuropas vertraut. Das Video wurde von der Galerie Eastwards Prospectus aus Bukarest in einer 5er-Auflage präsentiert.
Der Publikumsliebling auf der LOOP Fair war zweifellos das selbstironische, rund 10-minütige Video „The Curator“, eine humorvolle Persiflage auf die Eitelkeiten des Kunstbetriebs. Im Zentrum der hintergründigen Satire im Stil eines Hollywood-Filmtrailers steht ein allzu selbstbewusster Do-It-Yourself-Kurator, der dann aber grandios scheitert. Das Video des israelischen Künstlers Shahar Marcus wurde von der Braverman Gallery aus Tel Aviv in einer 6er-Auflage angeboten und gleich mehrmals verkauft.
Ein weiterer Film aus Israel erfuhr ebenfalls große Aufmerksamkeit: Tamir Zadoks komplexe Filmerzählung „Art Undercover“ von 2017. In dem circa 30-minütigen Video unternimmt der perfekt arabisch sprechende, israelische Protagonist eine Recherchereise nach Ägypten. Er begibt sich auf Spurensuche nach Werken des angeblich französischen, Mitte des 20. Jahrhunderts in Kairo sehr erfolgreichen Künstlers Charduval. Dieser entpuppt sich jedoch im Laufe der Erzählung als Shlomo Cohen Abravanel. Abravanel war einer der Gründer des israelischen Geheimdienstes Mossad. Die komplexe Detektivstory enthält viele subtile Verweise auf die politischen Verquickungen im Nahen Osten, das Hin- und Hergerissensein des Künstlers selbst zwischen arabischer und jüdischer Identität und die Verstrickungen des Kunstbetriebs in die internationalen Beziehungen. Die Rosenfeld Gallery aus Tel Aviv hatte dieses politisch-humorvolle Video in ihrem von Maya Frenkel Tene kuratierten Raum im Angebot.
Über 100 Sammler und Repräsentanten von Museen und Institutionen haben die diesjährige LOOP Fair besucht, darunter Vertreter des Centre Pompidou in Paris, des Pushkin-Museums in Moskau und des Thyssen-Bornemisza Art Contemporary Museums in Wien. Insgesamt rund elfeinhalb Stunden Videokunst konnte man auf der LOOP Fair 2018 anschauen – eine geballte Ladung. Durch das Vorhandensein bequemer Sitzmöglichkeiten in den Hotelzimmern und das abwechslungsreiche Talkprogramm ist diese Spezialmesse für Videokunst jedoch ein gut konsumierbares Format für Kenner, Freunde und Neu-Entdecker des elektronischen Mediums.